Steinfurt, den 09. Februar 2023
Stellungnahme zum Haushalt 2023
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, geschätzte Mitglieder des Verwaltungsvorstands, liebe Kolleginnen und Kollegen,
2022 – für uns alle unvorstellbar, ein Krieg in Europa wurde zur Realität, begonnen durch einen Diktator. Unsere Vorstellung von Frieden und Sicherheit in Europa gilt nicht mehr. Der Krieg in der Ukraine hat Auswirkungen auf Deutschland, auf Europa und auf die ganze Welt.
Auch Steinfurt bekommt diese Auswirkungen unmittelbar zu spüren. Auch wir bieten Menschen Schutz und Sicherheit, die vor dem Krieg und seinen Folgen fliehen. Wir erleben, dass die Verwaltung enorme Anstrengungen unternimmt, Menschen unterzubringen, eine Integration von Kindern in KiTas und Schulen zu ermöglichen. Hierfür möchten wir unseren Dank zum Ausdruck bringen und die Steinfurter*innen bitten, sich weiterhin weltoffen und menschenfreundlich zu zeigen!
Lieferengpässe sind entstanden, Kosten für Heizung und Strom explodieren, Lebensmittelpreise gehen in die Höhe, eine steigende Inflation herrscht – das spüren wir als Bürger*innen und stellt uns, die Industrie und das Gewerbe vor große Herausforderungen.
Auch in Steinfurt wissen viele Menschen nicht, wie sie mit ihrem Gehalt die Lebenshaltungskosten decken können. Die Steinfurter Tafel spürt diese Not in einer extremen Zunahme von Bedürftigen.
Wir als Kommune können solchen Ereignissen ein wenig entspannter entgegensehen, die letzten Jahresabschlüsse fielen allesamt positiv aus, heute Abend werden wir 4,8 Mio. Euro aus dem Jahresabschluss 2020 – zumindest fiktiv – in die Ausgleichsrücklage buchen. Allerdings: beträchtliche Anteile entsprechender Minderaufwendungen sind auf die Nicht-Umsetzung als notwendig befundener Maßnahmen zurückzuführen. Dazu später mehr.
Ich möchte Ihre Geduld am heutigen Abend nicht unnötig strapazieren, wichtig ist mir aber die Haltung der GAL-Fraktion zum Haushalt 2023 zu begründen.
Noch 17 Jahre sind es bis zum Jahr 2040. Das Jahr, in dem Steinfurt spätestens klimaneutral sein will und muss. Der einen oder dem Anderen unter uns mag die Zeitspanne bis dahin gewaltig vorkommen. Vermutlich werden viele von uns das Jahr 2040 persönlich nicht mehr erleben. Vielleicht liegt darin auch ein Teil der Begründung für die Passivität und Untätigkeit, konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen.
Im März wird uns ein Klimaschutzkonzept auf den Tisch gelegt, auch das Mobilitätskonzept steht kurz vor der Fertigstellung. „Endlich mal wieder Konzepte“, höre ich schon einige freudig juchzen. Denn in der Beauftragung von Konzepten sind wir in Steinfurt richtig gut. Sie entlasten uns. Traurigerweise mangelt es erfahrungsgemäß an der Umsetzung. Angekündigt sind alleine für das Klimaschutzkonzept 114 Maßnahmen, die ergriffen werden sollen. Wenn es nach Ihnen geht, Frau Bürgermeisterin, nicht aber heute und nicht im Jahr 2023. Ihr Haushaltsentwurf sah hierfür nämlich Null Euro vor.
Nun sind es gerade einmal 50.000 €, um überhaupt kurzfristig handlungsfähig sein zu können. Versehen mit einem Sperrvermerk. Eine echte Initialzündung sieht wahrlich anders aus.
Wir als GAL sind überzeugt: wer nicht bereit ist, zielgerichtet und konsequent kleinere und größere Maßnahmen umzusetzen, um eine klimaneutrale Transformation zu ermöglichen, versündigt sich an den nachfolgenden Generationen!
- Wo sind sie, die Photovoltaikanlagen auf städtischen Gebäuden, die seit Jahren von der Politik gefordert werden?
- Warum schaffen wir es nicht, zumindest zwei Lastenräder für KiTas oder andere Einrichtungen zu besorgen und die hierfür bereitgestellten Haushaltsmittel zu nutzen?
- Wo ist die politisch beschlossene Ladesäulen-Infrastruktur für E-Bikes, die in beiden Innenstädten geschaffen werden sollte?
- Warum bleiben Gelder von fast 110.000 € zur Verbesserung des innerstädtischen Radverkehrs auch im Jahr 2022 ungenutzt liegen?
Die standardisierte Begründung hierfür seit längerer Zeit: es fehlt an Personal. Das halte ich für vorgeschoben: es gelingt ja nicht einmal, zwei große Abfalltonnen für die Innenstädte zu beschaffen, um insbesondere am Wochenende vermüllten Plätzen in den Innenstädten entgegenzutreten.
Stattdessen beschließt die Politik auf Vorschlag der Verwaltung, Ladeinfrastruktur für E-Automobile am Rathaus zu verlegen. Am Ende der kostspieligen Leitung wird allerdings gerade die Ladestelle für einen Pkw geschaffen. Welch betriebswirtschaftlicher Schwachsinn!
Ein weiterer wichtiger Aspekt: ich spreche hier für eine kleine Ratsfraktion, in der allerdings relativ viele junge Menschen aktiv mitarbeiten; sie engagieren sich für Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Was müssen sie aber erleben: Initiativen geringen Ausmaßes (z.B. Blühstreifen für 10.000 €, Fahrradreparaturstationen für 13.500 €) werden kurzerhand niedergestimmt, im letzten Jahr will die Verwaltung beschlossene Haushaltsmittel zweckentfremden, anstatt sie für ökologische Maßnahmen einzusetzen. Stattdessen werden 142.000 € für die Auffrischung intakter Sitzungssäle im Haushalt geparkt, ohne dass jemand darlegen kann, ob oder wofür die Gelder genutzt werden sollen.
Und nicht zuletzt erleben diese jungen Menschen mit großstädtischer Lebenserfahrung, dass ein Leben ohne Pkw gut möglich ist, wir aber – Mobilitätskonzept hin oder her – keinen Gedanken daran verschwenden, welche Alternativen es zur Westtangente geben kann.
Ganz ehrlich: mich überrascht es nicht, dass Menschen sich auf Kreuzungen festkleben, um deutlich zu machen, dass sie kein Gehör finden und in ihren Augen gewaltig was schiefläuft.
An dieser Stelle möchten wir gerne Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik, und Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, zitieren: „Klimawandel kostet Geld, Klimaschutz spart Geld. Es ist das Einmaleins des politischen Unternehmertums: Jeder Euro, den wir jetzt investieren, spart 15 Euro Klimaschäden ein. Klimaschutz zahlt sich aus. Es sind Investitionen in enorme wirtschaftliche Chancen.“ Dass wir als Stadt von diesem Umstand profitieren, wird schon daran deutlich, dass die Windkraftanlagen-Betreiber*innen den größten Anteil der in Steinfurt erbrachten Gewerbesteuer zahlen.
Die drohende Klimakatastrophe UND der Verlust der biologischen Vielfalt stellen eine Bedrohung für die Menschheit dar und fordern dringend Lösungen, bevor es zu spät ist. Beide Krisen hängen zusammen, verstärken sich gegenseitig und müssen darum auch gemeinsam angegangen werden. Wir müssen endlich handeln! Wir alle spüren inzwischen die Folgen des Klimawandels immer häufiger: Starkregenereignisse, Überflutungen, Stürme sowie Hitzewellen und langanhaltende Trockenheit wie im vergangenen Sommer, das ist die Situation auf unserm Planeten.
Steinfurt hat das Ziel, bis zum Jahr 2040 klimaneutral zu werden, bis 2030 soll der Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion auf 80% gesteigert werden. Klimaschutz wird vor Ort, durch uns umgesetzt und wird auch von uns Investitionen einfordern. Vor allem die erneuerbaren Energien, Windkraft- und Solarenergie müssen schneller ausgebaut werden, denn die Realität des Klimawandels, unsere Versäumnisse in der Vergangenheit beim Umstieg auf Erneuerbare Energien holen auch uns vor Ort ein.
Meine Damen und Herren, meine Tochter Neele wird im Jahr 2040 26, mein Sohn Lasse 25 Jahre alt sein. Ich wünsche mir, dass sie sich dann guten Gewissens dafür entscheiden können, selbst Kindern das Leben zu schenken. Und nicht darauf verzichten müssen, weil wir es versäumt haben, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten.
Der Verein ‚Wie wollen wir leben‘ hat sich auf den Weg gemacht, Verwaltung und Politik Beine zu machen – fachlich überaus versiert und mit beachtlicher Reputation. Mitbürger*innen, die initiativ und aktiv werden, sich mit eigenen Projekten engagieren und konstruktive Lösungsvorschläge unterbreiten. Wir erwarten von Ihnen, Frau Bürgermeisterin, dass Sie das bestehende Angebot des partizipativen Dialogs und der Einbringung des Sach- und Fachverstands der Vereinsmitglieder aufgreifen und in die politische Arbeit implementieren! Der vorgeschlagene Klimabeirat bietet hierfür eine hervorragende Möglichkeit!
Partizipation bedeutet für uns mehr als überreichte Blumensträuße und überbrachte Glückwünsche zu feierlichen Anlässen!
Der Umgang mit kinder- und jugendrelevanten Anliegen ist hierbei ein weiteres Ärgernis für uns als GAL: wir erinnern an die schier unendliche Auseinandersetzung um die Basketballanlage an der Münsterstiege. Selbst einstimmige Beschlüsse und die Bereitstellung von HH-Mitteln von 100.000 € haben nicht dazu geführt, dass Sie dafür gesorgt haben, eine gute Lösung im Sinne von Anwohner*innen und Jugendlichen/ jungen Erwachsenen zu schaffen.
Wenn nun die Kolleg*innen von Bündnis 90/ Die Grünen anregen, die Beteiligung von jungen Menschen an der Gestaltung unserer Stadt neu aufzugreifen, wird ihnen entgegengehalten, Sie als Bürgermeisterin hätten zuletzt 2015 fast 4.000 Postkarten an Jugendliche in Steinfurt versandt, um für die Mitarbeit in einem Jugendparlament zu werben. Ich frage: was ist seitdem passiert? Soll dieser missglückte Versuch die Begründung dafür sein, Jugendliche nicht mehr zu beteiligen – undankbar, wie sie sich gezeigt haben?
Für uns als GAL, aber auch für andere Fraktionen scheint klar zu sein: das muss anders, besser, vielleicht niedrigschwelliger, sicher aber moderner gehen!
Dem Haushalt 2023 werden wir nicht zustimmen. Dem vorliegenden Entwurf mangelt es an Willen, die Herausforderungen des Klimawandels anzunehmen und durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, dass Steinfurt einen Beitrag zum Umgang mit dem drohenden Klimanotstand leistet.
Ich möchte mich am Ende meiner Ausführungen ausdrücklich bei den Mitstreiter*innen der anderen Ratsfraktionen für die gute, konstruktive und sachliche Zusammenarbeit in den zurückliegenden Monaten bedanken!
Dem Fachdienst Finanzen, Frau Reckels, Frau Uesbeck und Herrn Meyer, danke ich für die hilfreiche Begleitung während der Haushaltsberatungen!
Ich danke der WN und stellvertretend Axel Roll für eine faire Berichterstattung, der Verwaltungsspitze für die Zusammenarbeit und Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Christian Franke, Fraktionssprecher GAL im Rat der Stadt Steinfurt