Stellungnahme zum Haushalt 2022

Steinfurt, den 16. Dezember 2021

Sehr geehrter Frau Bürgermeisterin, sehr geehrte Damen und Herren!

Ja, es gibt sie noch: eine Welt neben Corona.

Die Einbringung des Haushaltes und seine Beratung haben stattgefunden.
Unser Dank gilt dem Kämmerer und seinem Team, die uns auch in widrigen Zeiten bei der Bearbeitung des Haushaltsentwurfes unterstützt haben.

Jetzt gilt es den vorgelegten Haushalt zu beschließen.

Wir haben uns interfraktionell darauf verständigt, auf Haushaltsreden zu verzichten und stattdessen entsprechende Erklärungen zu Protokoll zu geben. Damit nehmen wir in Kauf, dass einiges eher verkürzt und holzschnittartig daherkommt. Ich bitte um Verständnis!

Erfreulicherweise konnte das Haushaltsjahr 2020 entgegen Befürchtungen positiv abgeschlossen werden, vermutlich wird auch das Jahr 2021 kein Haushaltsdefizit mit sich bringen.

Aus unserer Sicht bestimmen die bereits bekannten und die noch nicht bezifferbaren Risiken die zukünftigen Haushalte:

  • der Corona-bedingte Ausfall von Steuern und Zuweisungen,
  • Ausbau und Erweiterung aller Grundschulen, um den verbindlichen Ganztag an sämtlichen Standorten sicherzustellen,
  • Der Neubau der Feuerwache im Stadtteil Burgsteinfurt,
  • der Finanzbedarf für Erhalt und Sanierung von Infrastruktur, insbesondere aller Schulen, KiTas und weiterer kommunaler Gebäude.

Und wir sind zutiefst überzeugt davon, dass als weitere – auch finanziell – große Herausforderung die klimaschonende und nachhaltige (Um-)Gestaltung der kommunalen Infrastruktur unweigerlich auf uns zukommen wird. Hierzu später mehr. Es sollte uns allerdings auch bewusst sein, dass gerade regenerative Energien eine entscheidende Einnahmequelle der Stadt darstellen: der Erlös aus allen Windenergie-Standorten stellt summiert die größte Gewerbesteuerquelle dar!

Auf die Stadt, auf die Menschen in Steinfurt warten große, chancenreiche Entwicklungen – angefangen mit dem Gesundheitscampus ‚Mauritius Health Care‘ über das ISEK und die damit verbundenen Auswirkungen auf Steinfurt als Lebens- und Wohnort, als Arbeitsplatz und Lebensmittelpunkt.

 Aber auch die Entwicklung am Standort der Fachhochschule und die Bemühungen, Luftkurort zu werden, bergen beachtliches Potential, das Steinfurt insgesamt voranbringen kann. Beide letztgenannten Projekte bedürfen jedoch einer kritischen und auf Nachhaltigkeit ausgelegten Begleitung!

Denn die Forderung und Ausrichtung der FH zum Bau der Westtangente passen nicht in den Kontext Klimawandel und Nachhaltigkeit. Die Anerkennung Steinfurts als Luftkurort gibt uns nicht nur das Recht, den Titel zu tragen und damit den Tourismus zu stärken, sondern bringt auch Pflichten mit sich, die noch zu benennen und zu bewerten sind.

Beim Umgang mit der Corona-Pandemie ist zu beobachten, dass die Wissenschaft in nie gekanntem Maß Einfluss auf Politik und zu treffende Entscheidungen hat.

Man stelle sich vor, eine derartige Akzeptanz von Wissenschaft gäbe es auch beim Thema Klimawandel…!

Denn Tatsache ist,

  • dass die Fakten zum Klimawandel seit ca. 50 Jahren bekannt sind,
  • dass sich trotz dieser Erkenntnisse die gesamte menschengemachte CO2-Menge noch in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt hat,
  • dass die Hunger- und Wasserkrisen zunehmen,
  • dass sich die Gesundheitsrisiken durch steigende Temperaturen und Hitzewellen vergrößern,
  • dass Schädlinge und Krankheitserreger sich verbreiten,
  • dass ein dramatischer Verlust an Biodiversität durch begrenzte Anpassungsfähigkeit und -geschwindigkeit von Flora und Fauna registriert wird,
  • dass die wirtschaftlichen Folgen für die Beseitigung der Klimafolgeschäden wachsen,
  • dass Bereiche, wie z.B. Land- und Forstwirtschaft, Energiewirtschaft, Infrastruktur, Tourismus usw. zu erheblichen Anpassungsleistungen gezwungen sind,
  • dass es keinen Impfstoff gegen Folgen des Klimawandels geben wird, sondern nur couragiertes Handeln!
  • Tatsache ist, dass wir zwar den Klimawandel nicht aufhalten können. Aber wir können und müssen unseren bescheidenen Anteil zur Lösung des Problems beisteuern.

Daher sind wir der Überzeugung, dass ein „Weiter so“ nicht mehr ausreicht, um die Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen zu sichern.

Umso erschreckender ist es festzustellen, dass die bereits für das Jahr 2021 erstrittenen, zusätzlichen Mittel für eben diese Zwecke durch die Verwaltung nicht genutzt wurden:

  • 100.000 € zur Weiterentwicklung des Radwegenetzes und zur Optimierung von Radwegeverbindungen: blieben unangetastet.
  • 100.000 € für die ökologische Aufwertung von Randstreifen, die nachhaltige Ausgestaltung durch Unterpflanzungen und die Anlegung von Rüttelstreifen: wurden nicht eingesetzt.

Derartiges Vorgehen der Verwaltung werden wir zukünftig nicht mehr akzeptieren! Mit der Bereitstellung von Haushaltsmitteln sind entsprechende Erwartungen zur Umsetzung durch die Stadtverwaltung verknüpft! Der Antrag der Bündnisgrünen zum Beschlusscontrolling ist somit folgerichtig und ausdrücklich zu begrüßen: der Rat kontrolliert die Umsetzung der erwarteten Maßnahmen!

Ebenso abenteuerlich: seit einigen Jahren steht fest, dass die Realschule Burgsteinfurt eine neue Pausenhofüberdachung benötigt. Mittel stehen im Haushalt bereit, umgesetzt wird sie allerdings über Jahre nicht, da innerhalb der Verwaltung nicht geklärt werden kann, wer für eine entspr. Risikoabschätzung zur Installation einer zugehörigen Videoüberwachung zuständig ist. Ergebnis: keine Überwachung und ärgerlicherweise auch keine Überdachung! Was folgt? Ein neuer Haushaltsansatz für die nächste Überwachung am Gymnasium Arnoldinum für 60.000 €. Wer wohl hier zuständig und verantwortlich ist?

Als völlig unverständlich erachten wir auch einige Vorstöße anderer Ratsfraktionen, u.a. zur Schulentwicklung. Da werden im Sommer Anträge gestellt zu Verfahren, die längst mit allen Beteiligten konsensual abgestimmt sind. Vollkommen überflüssig. Aber pressewirksam. Dann werden weitere Schulneu- oder Erweiterungsbauten angestoßen, die in Anbetracht des ohnehin zu erbringenden Arbeitspensums (Planung und Bau von Erweiterungsbauten an zwei Grundschulen, Feuerwache BF, weitere baul. Maßnahmen) in keiner Weise leistbar wären. Aber parteipolitisch nutzbar. Unser Apell an alle politischen Mitstreiter*innen: Seid euch auch dessen bewusst: Wir als Rat haben auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeiter*innen der Verwaltung!

Allerorten nehmen junge Menschen die ältere Generation mit und machen unmissverständlich klar, dass es nicht nur um ein bisschen mehr „grün“ geht, sondern um eine grundsätzlich andere Politik!

Das bedeutet aus unserer Sicht für Steinfurt konkret:

  • Klimaschutz muss kommunale Pflichtaufgabe werden.
  • Unser Wärmebedarf wird zunehmend aus erneuerbaren Energiequellen der Region gedeckt werden müssen.
  • Begrünung von Dachflächen und Fassaden, Regenwassernutzung, Solarthermie und Photovoltaik müssen kommunaler Standard werden,
  • Die Inanspruchnahme von Fläche muss strengen ökologischen Vorgaben unterliegen.
  • Eine weitere Versieglung von Flächen ist zu vermeiden.
  • Die Gewerbegebietsentwicklung vollzieht sich im Einklang mit maßvollem Flächenverbrauch und setzt innovative ökologische Lösungen voraus.
  • Baulückenschließung geht vor Baugebietsentwicklung.
  • Wir brauchen innerorts einen Vorrang für Rad- und Fußverkehr.
  • Bereiche in beiden Innenstädten müssen autofrei bzw. werden, um eine hohe Aufenthaltsqualität zu ermöglichen,
  • Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge wie die Bäder sind zu sichern.
  • Stadt und kommunale Wirtschaft sind Partner in der nachhaltigen Entwicklung des Gemeinwesens unserer Stadt,
  • Mobilität in Steinfurt muss neu geplant und zukunftsfest gestaltet werden: durch mehr Infrastruktur für ressourcenschonende Fortbewegung, attraktive Angebote des Umstiegs vom Auto auf Räder, E-Bikes, ÖPNV usw.

Dass es gelungen ist, im Rahmen der Haushaltsberatungen konkrete Maßnahmen zu nachhaltigen und ökologischen Projekten durch Anträge der GAL zu initiieren, freut uns:

  • So sollen im Jahr 2022 200.000 € für eine nachhaltige Aufwertung von Anpflanzungen eingesetzt werden,
  • Des Weiteren soll in beiden Innenstadtbereichen eine (geförderte) Infrastruktur für Lastenräder und E-Bikes geschaffen werden,
  • Die Schaffung einer Stelle zum Klimaanpassungsmanagement wird uns helfen, dass sich Steinfurt auf Starkregenereignisse vorbereitet und erforderliche, präventive Maßnahmen zum Schutz der Menschen vor Ort initiiert.

Für uns alle bleibt in den kommenden Jahren Vieles zu initiieren, vorzubereiten und voranzutreiben, um auch Steinfurt auf den Weg der Klimaneutralität zu bringen. Wir freuen uns auf lebhafte Diskussionen zu obigen Themen und sind bereit zum Wohle unserer Kommune diesen nötigen Anpassungsprozess aktiv zu begleiten.

Ein Gedanke zum Schluss:

In diesen Corona-Zeiten wird insbesondere den jungen Menschen viel abverlangt, um Rücksicht auf ältere Menschen zu nehmen. Wir als Ältere könnten uns revanchieren, indem wir die Jüngeren bei ihrem Kernanliegen – dem Klimaschutz – nach besten Kräften unterstützen. Das wäre angewandte Generationengerechtigkeit!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Christian Franke, Sprecher der Ratsfraktion