Steinfurt, den 06. Februar 2024
Stellungnahme zum Haushalt 2024
Sehr geehrter Herr stellv. Bürgermeister, geschätzte Mitglieder des Verwaltungsvorstands, liebe Kolleginnen und Kollegen,
gerne möchte ich die Gelegenheit nutzen, von einem Erlebnis zu berichten, das sich in der vorletzten Woche ereignete und während dessen ich an Sie und euch alle hier denken musste:
Ich saß im Wartezimmer einer Ärztin und da ich wenig Bezug zu Strickmustern und Klatsch aus europäischen Königshäusern habe, las ich ein Interview mit Ulrich Clement. Und wiederholt musste ich daran denken, wie ich unser Miteinander und unser Verhalten erlebe.
Ulrich Clement beschreibt die Problematik, dass sich beide Seiten an ihrer Position festgebissen haben und jede bzw. jeder darauf wartet, dass der Andere sich ändert. Für Herrn Clement ist klar, dass es dann einen Vermittler braucht, der dabei hilft, dass überhaupt miteinander geredet werden kann. Die Ursache für ein solches Dilemma oder eine ernsthafte Krise liegt darin, dass sich eineR von zweien ungerecht behandelt fühlt und glaubt, seine Interessen würden zu wenig beachtet. Daraus resultieren Vorwürfe, die immer wieder wie ein Refrain vorgetragen werden und die mit der Zeit das ganze Miteinander beherrschen.
Ach ja, Herr Clement ist übrigens Sexual- und Paartherapeut. Und wer uns hier in den zurückliegenden drei Jahren beobachtet hat, dem drängt sich der Befund auf: Rat und Verwaltung sind ein Fall für eine Paartherapie!
Wobei die geschlechtliche Rollenverteilung offenkundig ist: die Politik übernimmt die Rolle der Frau – von ihr gehen immer wieder die Vorwürfe aus, während die Verwaltung als Mann damit beschäftigt ist, sich zu verteidigen, in Schweigen zu verfallen und den Rückzug anzutreten.
Herr Clement ermutigt uns als Politik zur Nachsicht: Männer können Unvollkommenheit viel besser aushalten oder nehmen sie gar nicht erst wahr…
Nun könnte man es sich leicht machen, die Arme vor dem Oberkörper verschränken und befinden „Der Fisch stinkt immer vom Kopf her“, die Verantwortung für eine Verbesserung der Zusammenarbeit könnte allein der Bürgermeisterin zugeschoben werden. Das aber greift zu kurz und hilft bei der Problemlösung nur bedingt. Daher mein Appell: lassen Sie und lasst uns alle Hürden überwinden, Gesprächsfäden wieder aufnehmen und konstruktiv miteinander für das Wohl der Menschen in Steinfurt arbeiten!
Die zu Ende gehenden Haushaltsberatungen sind ein gutes Beispiel für die Mängel in der Zusammenarbeit: 9,8 Millionen Euro Defizit (inkl. der kurz nach Einbringung des Etats bekannten Erhöhung bei der Grundsicherung) schienen der Politik ein zu fettes Minus, die Verwaltung – typisch Mann – erachtete dieses als unproblematisch. Die feminin-hysterische Politik verlangte dennoch Nachbesserungen. Und zwar – herzlichen Dank an Michael Hardebusch – in zutiefst demokratischen Ausschusssitzungen. Kurz vor Weihnachten stand fest: das war für die Tonne! Weil Politik nach Steuerung verlangt, Verwaltung Steuerung aber nicht aus der Hand geben will. Und so brauchte es am Ende die ultima ratio der Fraktionsspitzen, um im Haushalt noch für ein wenig politischen Bewegungsspielraum zu sorgen.
Nun wird ein Haushalt mit einem strukturellen Minus von 7,1 Mio. Euro auf den Weg gebracht. Allzu kräftig sollte das gegenseitige Schulterklopfen jedoch nicht ausfallen: tatsächlich gespart wird nur geringfügig – abgesehen von Baumtoren und -beeten, Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung und der Reparatur von Wirtschaftswegen. Vieles andere wird geschoben in die Folgejahre.
Ernüchtert stellt die GAL-Fraktion fest, dass nur aus den Reihen der FDP und der GAL Anträge zur Reduzierung des Haushaltdefizites 2024 eingebracht wurden. Die übrigen Fraktionen sahen hier offenbar allein die Stadtverwaltung in der Pflicht, entsprechende Maßnahmen ausfindig zu machen. Für uns ist klar: Steuerung ist nur möglich, wenn es gelingt, Prioritäten zu setzen, Strukturen zu hinterfragen und auch Verzicht zu üben. Der Haushalt 2025 und die erforderlichen Vorberatungen werden zeigen, ob der Rat hierzu bereit ist.
Auch das lehren uns die Haushaltsberatungen 2024: es werden keine Informationen durch die Stadtverwaltung vorenthalten. Totale Transparenz bei zielgerichteter Fragestellung. Danke, Andreas Meyer und Mareike Paßlick, für eure umfängliche, unkomplizierte und umgehende Bereitstellung entsprechender Zahlen und Ausführungen!
Der große Verlierer dieses Haushaltes ist wieder einmal der Klimaschutz. Schon der Haushaltsentwurf der Bürgermeisterin war diesbezüglich eine Bankrotterklärung! Mittel zur Umsetzung des Mobilitäts- und Klimaschutzkonzeptes? Fehlanzeige! Seitdem der Klimaschutz im Rathaus zur Chefsache erklärt wurde, könnte man meinen, er sei auf dem Abstellgleis gelandet.
Umso mehr sollten wir alle darauf hoffen, dass der am heutigen Abend eingesetzte Klimabeirat uns als Stadtrat mit seiner fachlichen Expertise hilft, wirksame Strategien zu entwickeln, in Steinfurt Beiträge zur Klimaneutralität umzusetzen. Das gemeinsame Vorgehen der Fraktionen, die Mittel aus der EEG-Umlage für genau diese Zwecke auch langfristig zu sichern, ist ein starkes Signal.
Denn: ja, Klimaschutz ist (noch) keine gesetzliche Pflichtaufgabe. Das entbindet uns aber nicht von der Verantwortung, jede Möglichkeit zu nutzen, entsprechende Maßnahmen auch tatsächlich umzusetzen.
Und wir – Rat und Verwaltung – sollten darauf achten, dass wir unsere nächste Sitzung bei der Paartherapeutin nicht mit Uli Ahlke, Stefan Jöken und Gerd Göckenjahn haben. Wenn es richtig gut läuft, wird der Klimabeirat uns beständig auf die Füße treten – mit Vorschlägen zur Wärmewende, zur Biodiversität, zu Klimawandelanpassung und zur Reduktion klimaschädlicher Treibhausgase. Und wir sollten diese Lobbyisten im Sinne der Zukunft unserer Kinder nach Kräften unterstützen. Wann und wo immer es geht.
Mehr als 150.000 Euro stehen auch im Haushalt 2024 für den Bau der Westtangente bereit – ein echter Klima-crusher. Wer Klimaschutz und eine Mobilitätswende als unausweichliche – und im Übrigen politisch nicht verhandelbare – Ziele anerkennt, der sollte sich bewusst machen, dass diese Umgehungsstraße die Klimabilanz der Stadt radikal belasten würde. Dem Antrag der GAL auf Verzicht auf diese Trasse wird eine gewisse Folklore nachgesagt. Wir meinen es jedoch ernst: Mobilitätskonzepte sind heute nachhaltiger, cleverer und passgenauer als Betonwüsten der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrtausends. Eine Enteignung der betroffenen Landwirte steht in diesem Jahr bevor. Und auch Sie tragen Verantwortung dafür, dass der Kreis diese mit Rückendeckung der Stadt vollziehen kann.
Dem Haushalt 2024 erteilen wir als GAL unsere Zustimmung somit nicht.
Ich möchte mich am Ende meiner Ausführungen ausdrücklich bei den Mitstreiter*innen der anderen Ratsfraktionen für die gute, konstruktive und sachliche Zusammenarbeit in den zurückliegenden Monaten bedanken!
Dem Fachdienst Finanzen, Frau Reckels und Herrn Meyer, danke ich für die hilfreiche Begleitung während der Haushaltsberatungen!
Ich danke der WN und stellvertretend Axel Roll für eine faire Berichterstattung, der Verwaltungsspitze für die Zusammenarbeit und Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Christian Franke, Fraktionssprecher GAL im Rat der Stadt Steinfurt